Freitag, 8. August 2014

Trugschluss

Trotzige, entschlossene Schritte stampften an diesem wolkenbehangenen Morgen durch das nasse Gras auf den Versammlungsplatz. Der Tag war gekommen. Unser Entschluss war über Nacht nur gereift und verstärkt worden, denn unsere Freiheit war schon zum Greifen nah!
Gerade als der Sultan seine Stimme erheben und zu uns sprechen wollte, erhob sich ein Murren, Klagen und Schimpfen aus unseren Reihen, das dem Sultan die Sprache verschlagen ließ. Seine liebevollen, gütigen Gesichtszüge verwandelten sich in Sorgenfalten und tiefe Enttäuschung. Aber er ließ uns gewähren und uns unseren Erfolg feiern: Keine Regeln. Keine Einschränkungen. Keine Aufgaben. Freiheit!
Doch der Jubel hielt nicht lange an. Die Freiheit, die wir erlangt hatten, stellte sich als eine noch viel größere Knechtschaft heraus. Es gab niemanden mehr, der das Lager in Ordnung hielt, der für uns kochte, der uns umsorgte,… wir mussten alles selber machen und das gestaltete sich schwieriger, als wir vermutet hatten. Spätestens als wir, nachdem wir uns mit allem Eifer und aller Kraft Lebensmittel beschafft hatten und völlig ausgelaugt und hungrig waren, in unserem Lager mit einem kleinen Topf voller selbstgekochter Nudeln und einiger Würstchen saßen und die Diener des Sultans mit Schnitzeln und Eis sahen, wünschten wir uns das alte Leben zurück. Aber es war zu spät. Wir hatten uns gegen den Sultan entschieden, ihn zutiefst verletzt, seine Autorität in Frage gestellt und sein Vertrauen missbraucht. Wir hatten keine Wahl mehr. Wir würden immer so hart arbeiten und einen so geringen Lohn bekommen müssen. Oder etwa nicht? Würde der Sultan uns, wenn wir ihn um Verzeihung  bitten würden, eine neue Chance geben?
Wir waren seiner Gnade völlig ausgeliefert, aber er enttäuschte uns nicht. Er war anders als wir. Mit strahlendem Gesicht und offenen Armen empfing er uns herzlich in seinem Wohlwollen. Eine Bedingung gab es allerdings: Wir müssten ihm in Zukunft vertrauen und daran glauben, dass seine Regeln gut sind. Und eben das versprachen wir.
Den Nachmittag verlebten wir in neuer Zuversicht und Freude beim Actionspiel, an der Kletterwand, auf dem Trampolin, im Gras liegend, sitzend, schlafend, und genossen die Sonne und die Liebe des Sultans, unser Zuhause und unsere Gemeinschaft.